(Kiel)  Fiktive Mängelbeseitigungskosten beschäftigen – jeweils in unterschiedlichen Fallgestaltungen – die obergerichtliche Rechtsprechung.  

Mit Urteil des OLG Köln vom 19.10.2022 (11 U 247/21)  setzte sich dasselbe mit der Fragestellung auseinander, dahingehend ob die Kosten für die Beseitigung von Mangelfolgeschäden fiktiv abgerechnet werden können, sofern sich dieselben nicht des Gewerk des Unternehmers betreffen.

Darauf verweist die Frankfurter Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht  Helene – Monika Filiz, Präsidentin des VBMI – VERBAND DEUTSCHER ANWÄLTE für Bau-, Miet- und Immobilienrecht e. V. mit Sitz in Kiel, unter Hinweis auf das Urteil des OLG Köln vom 19.10.2022, 11 U 247/21).

Der BGH hatte sich mit Urteil vom 22.02.2018, Az.: VII ZR 46/17, dahingehend positioniert, dass der Besteller, der einen Mangel nicht beseitigen lässt, seinen Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB nicht als fiktive Mängelbeseitigungskosten geltend machen kann. Unter Zugrundelegung dieser Entscheidung des BGH ergab sich die Anschlussfragestellung dahingehend, ob die Kosten für die Beseitigung von Mangelfolgeschäden fiktiv abgerechnet werden können.

Hierzu werden unterschiedliche Rechtsansichten vertreten.

Das OLG Oldenburg hatte dies verneint (Urteil vom 20.11.2018, Az.: 2 U 37/17).

Das OLG Köln setzte sich mit Urteil vom 18.10.2022 (Az.: 11 U 247/21) gleichfalls mit dieser Fragestellung auseinander und gelangt insoweit zu einem anderen Ergebnis.

  • Sachverhalt

Ein Bauherr beauftragte mehrere Firmen mit dem Neubau seines Einfamilienhauses. Der Auftrag an den Rohbauer lautete dahingehend, neben den Beton-, Stahlbeton- und Maurerarbeiten außen eine Sockelabdichtung herzustellen. Weiterhin beauftragte der Bauherr den Dachdecker, ergänzend zu den Dachdeckerarbeiten die Abdichtungsarbeiten an der Terrassentür sowie der Haustür auszuführen. Die Ausführung der beauftragten Arbeiten erfolgte in den Jahren 2014/15. Bereits im Dezember 2015 traten feuchte Stellen im EG des Einfamilienhauses auf, welche sich bis in eine Höhe von ca. 50 cm, vom Erdboden in den Wandbereich aufsteigend, fortsetzten. Infolge der Feuchtigkeitseindringungen trat Schimmel den betroffenen Bereichen auf.

Infolge der Einholung von Sachverständigengutachten wurde die Ursache für die Feuchtigkeitseindringung dahingehend festgestellt, dass sowohl der Rohbauer, als auch der Dachdecker  die Abdichtungsarbeiten nicht ordnungsgemäß ausgeführt und hierdurch jeweils beide die Feuchtigkeitsschäden verursacht haben.

Die sachgerechte Sanierung setzt die Erneuerung des Bodenbereichs, inclusive Estrich und Dämmung, voraus. Des Weiteren sind die Sockelleisten, Putz und Tapeten zu entfernen und neu aufzubauen bzw. anzulegen.

Der Bauherr nahm die Rohbauer sowie den Dachdecker als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Höhe der voraussichtlichen Sanierungskosten in Anspruch.

Die Beklagten wandten demgegenüber ein, dass aufgrund der BGH-Rechtsprechung (Urteil vom 22.02.2018 – VII ZR 46/17) keinen Schadensersatz auf Basis von fiktiven Mängelbeseitigungskosten geltend gemacht werden könne.

  • Entscheidung des OLG Köln

Das OLG Köln stellt fest, dass der Bauherr die Sanierungskosten in Form von fiktiven Schadensbeseitigungskosten abrechnen kann. Die Rechtsprechung des BGH greife nur für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB. Daher sei dieselbe nicht auf die vorliegende Fallkonstellation anwendbar, die das Integritätsinteresse des Bestellers (also sein unabhängig von der konkreten Vertragsdurchführung bestehendes Interesse an der Unversehrtheit seiner Rechtsgüter) umfasst.

In dem zu entscheidenden Fall ist der Schaden nicht innerhalb der beauftragten Gewerke eingetreten, sondern an den Gewerken anderer Unternehmer. Es handelt sich somit um einen Mangelfolgeschaden.

Darüber hinaus soll die Rechtsprechung des BGH vermeiden, dass eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten zu einer Überkompensation des Bestellers führt. Eine solche Situation liegt im konkreten Fall nicht vor. Das Einfamilienhaus ist im Erdgeschoss ohne eine Sanierung aufgrund des Schimmelbefalls nicht bewohnbar.

  • Praxishinweis

Zwar hat das BGH-Urteil vom 22.02.2018 (Az.: VII ZR 46/17) zu einer erheblichen Verunsicherung geführt, in welchen Bereichen der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch noch auf der Grundlage von fiktiven Kosten geltend machen kann.

Für das Kaufrecht wurde mittlerweile geklärt, dass das o.g. BGH-Urteil hierauf nicht anwendbar ist. Im Kaufrecht werden daher weiterhin fiktive Mängelbeseitigungskosten ersetzt. Der für Kaufrecht zuständige V. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 12.03.2021 (Az.: V ZR 33/19) entschieden, dass die im Bauvertragsrecht typische Überkompensation im Kaufrecht regelmäßig nicht zu erwarten ist. Beim Bau neuer Gebäude treten häufig Sachmängel auf, mit denen der Besteller „leben kann“. Dies ist im Kaufrecht in der Regel anders.

der V. Zivilsenat geht nach seinen eigenen Erfahrungen davon aus, dass beim Kauf gebrauchter Immobilien vor allem solche Sachmängel praktische Bedeutung haben, die die Eignung der Kaufsache, für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder die gewöhnliche Verwendung in Frage stellen, wie etwa Feuchtigkeit, Schadstoffbelastung, Schädlingsbefall oder auch eine fehlende Baugenehmigung (vgl. das BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az.: V ZR 33/19). Mit solchen Mängeln kann der Besteller in der Regel gerade nicht „leben“.

Im Bereich des Werkvertragsrechts ist nach dem Urteil des OLG Köln vom 18.10.2022 (Az.: 11 U 247/21) zu unterscheiden, ob das Interesse des Bestellers an einer vertragsgerechten Ausführung betroffen ist (Erfüllungsinteresse), oder das Interesse an der Unversehrtheit seiner Rechtsgüter außerhalb des konkreten Vertragsverhältnisses (Integritätsinteresse).

Sofern das Integritätsinteresse betroffen ist, darf der Besteller nach der Auffassung des OLG Köln nach wie vor einen Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der fiktiven Kosten geltend machen.

Anders dagegen, sofern es um das Erfüllungsinteresse des Bestellers an einer mangelfreien Ausführung geht. In diesem Fall kann der Besteller auf der Grundlage des BGH-Urteils vom 22.02.2018 (Az.: VII ZR 46/17) seinen Schaden nicht auf der Grundlage der fiktiven Mängelbeseitigungskosten ermitteln. Stattdessen hat er folgende Möglichkeiten:

  1. Er kann gemäß § 634 Nr. 2, § 637 BGB einen Vorschuss in Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen, wobei der Kostenvorschuss alsdann zur tatsächlichen Behebung des Mangel verwendet werden und alsdann endgültig abgerechnet werden muss. Bei einer nicht fristgemäß durchgeführten Mängelbeseitigung muss er ggf. den kompletten Vorschuss zurückzahlen (kann aber ggf. mit Schadensersatzansprüchen aufrechnen).
  2. Der Besteller kann den Mangel beseitigen lassen und die tatsächlich angefallenen Mängelbeseitigungskosten als Schaden gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB ersetzt verlangen. Vor Begleichung der Kosten kann er Befreiung von den zur Mängelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.
  3. Wenn er den Mangel nicht beseitigen lassen will, kann er den Schaden im Wege einer Vermögensbilanz errechnen. Entscheidungserheblich ist die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen mangelfreien Sache und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel. Wenn der Besteller die Sache bereits veräußert hat, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels bemessen.
  4. Weiterhin besteht die Möglichkeit der Schadensschätzung in Anlehnung an § 634 Nr. 3, 638 BGB, wobei von der vereinbarten Werkvertragsvergütung auszugehen ist. Der Minderwert wegen des nicht beseitigten Mangels bemisst sich alsdann nach dem durch der durch den Mangel erfolgten Störung des Äquivalenzverhältnisses.

Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Mangel zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit führt (z.B. war das Erdgeschoss des Hauses in dem Fall, über den das OLG Köln zu entscheiden hatte, ohne eine Sanierung nicht mehr bewohnbar). In diesem Fall wird die Vermögensbilanz regelmäßig ergeben, dass der Wert der Sache mindestens in Höhe der aufzuwendenden Sanierungskosten gemindert wird (eventuell kommen weitere Abzüge hinzu, wie z.B. ein etwaiger merkantiler Minderwert).

In der Regel wird der Besteller in diesem Fall aber ohnehin an einer zügigen Sanierung interessiert sein und daher entweder Kostenvorschuss  oder die bereits aufgewandten Mängelbeseitigungskosten geltend machen.

Filiz empfahl, dies zu beachten und bei Fragen zum Baurecht auf jeden Fall Rechtsrat einzuholen, wobei sie in diesem Zusammenhang u. a. auch auf den VBMI – VERBAND DEUTSCHER ANWÄLTE für Bau, Miet- und Immobilienrecht e. V. – www.VBMI-Anwaltsverband.de  – verwies.

Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung: 

Helene – Monika Filiz

Rechtsanwältin / Fachanwältin für Familienrecht / Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht

Präsidentin des VBMI – VERBAND DEUTSCHER ANWÄLTE für Bau-, Miet- und Immobilienrecht e. V.

 

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